Sport mit Sinn und Gefühl
Ein Plädoyer für einen mutigen Perspektivwechsel
Kein Zweifel, unser Körper ist zu vielem fähig. Das können wir an den Leistungen von Tour de France-Radfahrern, Ironman-Finishern oder Bergsteigern sehen. Der Blick auf Profisportler oder ambitionierte Hobbysportler wie diese kann uns bei unserem eigenen Trainingspensum motivieren. Es kann uns aber auch dazu bringen, über die aktuelle Leistungs- und Motivationsgrenze unseres Körpers hinauszugehen. Das kann man oft an der Körperhaltung und den Gesichtern von Hobbysportlern sehen. Ob Jogger oder Rennradfahrer in der heißen Sommersonne oder Fitnessstudio-Ratten an den heißesten Tagen des Sommers im verschwitzten Kursraum oder auf dem Crosstrainer.
Was motiviert ambitionierte Sportler, enorme körperliche Leistungen zu vollbringen? Was bringt Hobbysportler dazu, über ihre eigene Motivation hinauszugehen? Warum kannst du dir selbst mehr vertrauen als Pulsuhren, Tracking-Apps und Schrittzählern? Wie kann Sport erfüllender werden und mehr Spaß machen, statt nur anstrengend zu sein? Und wie kannst du mit Outdoor-Training mehr Sinn und Gefühl in dein Bewegungsprogramm bringen wie Functional Training? Die Antworten bekommst du hier.
Ich bin keine Maschine...
Ich bin ein Mensch aus Fleisch und Blut. In seinem 2016 veröffentlichten Song singt Tim Bendzko über die Monotonie des Funktionierens. Diese Monotonie beherrscht viele Sportlerinnen und Sportler: starre Trainingspläne, die befolgt werden wollen; eine Ernährungsumstellung auf das nächste große Superfood für mehr Kraft und weniger Körperfett; ständig steigende Gewichte und Widerstände ohne Rücksicht auf Muskelschmerzen oder Ermüdung; ein gedankenloser Trainingsprozess mit einem Auge auf dem Schrittzähler und dem MP3-Player, während deine Gedanken auf dein Abendessen gerichtet sind.
Wenn du dich auch so fühlst, dann bist du nicht allein. Das ist die frustrierende Realität in fast allen Fitnessstudios weltweit, jeden Tag. Und mehr noch: Das ist eine sinnlose, qualitativ minderwertige und ineffektive Art zu trainieren. Aber fühl dich nicht zu schlecht. Mir geht es schon seit Jahren so.
Wir können diese Entwicklung in vielen gesellschaftlichen Bereichen beobachten, der Sport ist nur einer davon. Die Leistungsgesellschaft findet ihren Weg in die Spielgruppe: Welches Kind kann X zuerst? Frühförderung im Kindergarten, gefolgt von einem starren Schulprogramm und Studium oder Lehre. Burnout, schwerere Krankheiten in immer jüngeren Jahren oder Perspektivlosigkeit runden dieses Bild ab. Als kleine Zahnräder funktionieren, ohne etwas zu hinterfragen? Oder ausbrechen wie Tim Bendzko im Video zum oben erwähnten Song?
Geh und pushe dich selbst
Udo Bölts trieb seinen damaligen Mannschaftskapitän Jan Ullrich 1997 mit dem legendären Ausruf "Quäl dich, du Sau" zum Sieg der Tour de France. Auch im Profisport steht das Funktionieren an erster Stelle. Aber warum?
Um dies zu verstehen, müssen wir die Vorstellung vom Menschen als rein physischem Körper mit laufenden biochemischen Prozessen um seine Gedanken und Gefühle sowie um seine Intellektualität erweitern. Diese Aspekte werden vielleicht schon von der Sportpsychologie und dem mentalen Training für Sportler/innen berührt. Die Simplonik als Wissenschaft der Einfachheit leitet sie aus Naturgesetzen ab.
Alles beginnt, wenn wir als Kind gezeugt und geboren werden. Irgendwann, ob im Mutterleib, als Baby oder im Kindergarten, machen wir die Erfahrung, dass wir nicht so akzeptiert werden, wie wir sind. Vielleicht war es nur, weil wir geweint haben, während die Erwachsenen sich auf etwas anderes konzentrieren mussten, weil sie gestresst waren. Trotzdem wirkt diese Erfahrung bedrohlich. Schließlich brauchen wir eine Gemeinschaft, um zu überleben - besonders als Kind. Jetzt suchen wir nach Wegen, um uns Anerkennung zu sichern. Wir glauben, die Gemeinschaft mag uns, wenn wir so funktionieren, wie sie es von uns erwartet.
Bei solchen Vorgängen lernen wir viele Wahrheiten und Glaubenssysteme in unserem Leben. Beispiel: "Nur wenn du schnell und stark bist, bist du etwas wert". Du kannst nur etwas aus dir machen, wenn du dich durchsetzt". Ich bin nur stolz auf dich, wenn du vom 5-Meter-Sprungbrett springst". Unsere individuellen Glaubenssysteme sind unser Weltbild und prägen unseren Ehrgeiz. Ehrgeiz für Leistung und Anpassung, der - so hoffen wir - Aufmerksamkeit bringt.
Der beschriebene Prozess findet sich in jedem Menschen. Wenn wir ihn nicht verstehen, kann er zu einem tragischen Ansporn für nie befriedigende Anstrengungen werden. Persönliche Rekorde können auf diese Weise erreicht werden, aber immer mit dem verbleibenden Zweifel, ob sie schon gut genug sind oder nicht. Oder hätte es auch noch besser sein können? So quälst du dich damit, immer mehr Gewichte zu stemmen, immer höhere Berge zu erklimmen, immer schneller und weiter zu laufen. Irgendwann passt du mit deinen Muskelbergen nicht mal mehr durch die Tür. Aber: Ein echtes Erfolgserlebnis kannst du nie erreichen. Stattdessen folgt auf die Euphorie über ein neu erreichtes Ziel schnell eine innere Leere. Und der automatische Kreislauf der Suche nach einem neuen Ziel führt zu dem Zwang, neue, oft noch höhere Pensen zu bewältigen.
Ich bin ein Mensch aus Fleisch und Blut
Die jüngsten Entwicklungen zeigen, dass du mehr auf die Pulsuhren, Schrittzähler und Faustregeln der trendigen Richtlinien hörst als auf deine innere Stimme. Du hast keine Lust mehr zu joggen, aber du hast bisher nur 400 Kalorien verbrannt? Dann mach weiter. Du hast die letzten drei Wochen Bankdrücken mit 110 kg gemacht, also ist es nicht an der Zeit für 10 kg mehr. Und das, obwohl deine Schulter schon seit Wochen Probleme macht. Meinst du, das hat nichts mit deinen Bedürfnissen, deiner inneren Stimme und deinen Gefühlen zum Training zu tun?
Das Geheimnis ist das Gleichgewicht: Aktive und erholsame Phasen sollten den ganzen Tag über im Gleichgewicht sein. In der Wildnis hat Aktivität fast immer mit Kampf oder Flucht zu tun und ist ein Mechanismus, der das Überleben sichert. Sie geht Hand in Hand mit Stress. Die Muskeln werden für kraftvolle Bewegungen angespannt. Sobald das Überleben gesichert ist, schaltet der Organismus wieder auf Entspannung und Erholung um.
Verantwortlich für die Steuerung dieses Gleichgewichts sind die komplementären Kräfte, der Sympathikus und der Parasympathikus. Das Leben, und damit auch dein Bewegungsprogramm und dein Sport, wird unfreiwillig schwierig, sobald die Aktivität überwiegt.
Keine Frage: anstrengende Bewegungen wie im Training oder Sport können der Aktivität zugerechnet werden. Und doch gibt es eine intuitive Leistungs- und Begeisterungsgrenze. Diese Grenze teilt sich zunächst über Gefühle mit. Keine Motivation, Lust auf etwas anderes, Langeweile oder das Bedürfnis nach frischer Luft sind nur einige Beispiele dafür, wie unser Körper mit uns kommuniziert. Wenn wir uns dafür entscheiden, diese Gefühle zu ignorieren - und lieber auf unsere Fitnessgeräte zu hören - wird unser Körper auf andere Signale wie Muskelverspannungen, Schmerzen oder Energiemangel umschalten. Psyche und Körper gehen Hand in Hand.
Lerne die Kunst der Bewegung
Mit der Herleitung der Motivation für den Sport im Hinterkopf können wir den wahren Sinn der Bewegung verstehen: Egal, welche Bewegung oder Sportart du wählst, der wahre Sinn entfaltet sich erst, sobald du deinen Fokus und dein Gefühl auf das Tun konzentrierst. Du bist plötzlich frei von Gedanken darüber, was passieren könnte. Du spürst nur den wahren Fokus auf den Moment. Deine Suche nach Anerkennung rückt in den Hintergrund. Dein Körper ist in Aktion und doch entspannt und sensibel. Deine Gefühle sind offen und frei.
Nehmen wir ein Beispiel, um das zu verdeutlichen: Wenn du z.B. einen steilen Berg hinaufgehst, kannst du entweder einen schniefenden Blick auf den Gipfel und dann auf deine Pulsuhr werfen. Oder du bist so sehr in die Aktion und den Moment vertieft, dass du dich voll auf jeden einzelnen Schritt konzentrierst. Der nächste Schritt ist immer der wichtigste.
Wie können wir das in unserem Bewegungs- oder Sportprogramm erreichen? Der Mensch hat fünf Sinne. Mit ihnen erleben wir die Welt. Das klingt einfach genug und ist den meisten Menschen klar. Es gibt jedoch beeindruckende Beispiele aus dem Fitnessstudio, bei denen wir das nicht verstehen: Wir verbringen die meiste Zeit des Tages drinnen und auch für unser Training gehen wir nach drinnen. Die Temperaturen sind fast immer angenehm, wir beherrschen die Kunst, 24 Stunden am Tag für gleichmäßige Lichtverhältnisse zu sorgen, und Geräusche - manchmal sogar Lärm - sind immer präsent. Wenn die Musik aus dem Soundsystem des Fitnessstudios nicht ausreicht, legen wir Musik von unseren MP3-Playern auf. So können wir uns von der Monotonie unseres Trainingsprogramms ablenken, indem wir alle drei Minuten ein anderes Lied auswählen. Diese Reizüberflutung ist anstrengend, unser Nervensystem reagiert gestresst. Das sympathische Nervensystem wird aktiviert.
Wenn wir jedoch in die Natur gehen und zur Ruhe kommen, um sie zu genießen, erleben wir eine Bandbreite von scheinbar endlosen Sinneswahrnehmungen. Und wir erleben sie auf einer Ebene, die für uns Menschen natürlich und verarbeitbar ist. Der Wind in unseren Haaren, in unserem Gesicht und auf unserer Haut, die unzähligen Farbnuancen der Blätter oder die Stille, in der wir eine Vielzahl von Vogelstimmen, Grillen und den auf Pfützen und Blätter prasselnden Regen erkennen. Das eigene Leben beginnt eine enorme Tiefe zu haben. Wir leben und fühlen uns wieder mit der Natur verbunden.
In diesem Zustand des Eins-Seins mit der Natur und der Umwelt können wir unser Sportprogramm umsetzen. Die Flexibilität von Functional Training mit seiner Leicht und einfachen Ausrüstung oder Ausdauersportarten machen uns unabhängig von äußeren Bedingungen wie Öffnungszeiten und erlauben uns, so zu trainieren, wie wir uns in dem Moment fühlen. Und wenn dein Körper mittendrin nach einer Pause verlangt: gönn ihm eine. Indem du deine individuelle Leistungsgrenze akzeptierst und deine Lust auf Bewegung zu vielleicht ganz anderen Zeiten als sonst spürst, kannst du nach einiger Zeit der Neuorientierung ein neues, erfüllendes Bewegungsprogramm erreichen. Sport wird dann immer mehr zu einem Spiel. Das ist zwar im Moment anstrengend, aber erfüllend, weil du an nichts anderes denkst. Viel Spaß bei der Wiederentdeckung deiner Natur.